Legislative

Das polnische Parlament, Sejm und Senat

Das Parlament in Polen hat eine lange Tradition. In der zweiten Hälfte des 15. Jh. wurde der erste Reichstag (Sejm) abgehalten. Im Unterhaus berieten die Repräsentanten der Landtage, und die Großwürdenträger und der Episkopat tagten im königlichen Rat (ab 1505: Senat). Es entstand eine Adelsrepublik, in der sich der Monarch nach den Abstimmungen des Adels richten musste, und zwar in den Bereichen Steuern, Krieg und Frieden sowie Bürgerrechte. Schon im 16. Jh. hatte Polen eine sehr fortschrittlichen Staatsform, weil die Rechte des Einzelnen respektiert wurden und die herrschaftliche Macht begrenzt war.

Das parlamentarische System war seinerzeit durch das liberum veto eingeschränkt, denn alle Sejmbeschlüsse mussten einstimmig gefasst werden. Aber es gab dem Land Stabilität und ermöglichte am 3. Mai 1791, eine Verfassung zu verabschieden. Es war das erste schriftlich fixierte Grundgesetz in Europa und nach den USA weltweit das zweite.

Nach 1989 gewann der polnische Parlamentarismus ähnlich wie das politische System und das pluralistische Parteienspektrum seine demokratischen Züge zurück, die nach dem Krieg von Kommunisten und der Sowjetunion bekämpft worden waren. Erst die freien Präsidentschaftswahlen von 1990, die freien Wahlen zum Sejm und Senat im Jahre 1991, sowie die Verabschiedung einer neuen Verfassung 1997 haben die demokratische Ordnung wieder hergestellt.

Gegenwärtig besteht das Parlament in Polen aus zwei gesetzgebenden Organen: der ersten Kammer (Sejm) mit 460 Abgeordneten und der zweiten Kammer (Senat) mit 100 Senatoren.

Abgeordneter kann jeder polnische Bürger werden, der alle Bürgerrechte besitzt und am Tag der Parlamentswahlen das 21. Lebensjahr vollendet hat. Für Senatoren ist ein Mindestalter von 30 Jahren erforderlich.

Die Abgeordneten vertreten die Wahlkreise, in denen sie ihr Mandat gewonnen haben. Die Wahlkreise sind meist mit einem oder mehreren Verwaltungskreisen identisch. In großen Ballungsgebieten sind die Wahlkreise kleiner als die Verwaltungskreise und umfassen eher Gemeinden bzw. Stadtteile.

Bei der Abstimmung im Parlament sind weder die Abgeordneten noch die Senatoren durch den Auftrag ihrer Wähler gebunden, sondern sie haben die verfassungsmäßige Pflicht, zum Wohle der Republik Polen zu handeln.

Das politische System in Polen stützt sich auf ein Mehrparteiensystem. Aus diesem Grunde haben bei den Parlaments-, Präsidentschafts- und Kommunalwahlen diejenigen Kandidaten die größte Chance, die von einer großen politischen Partei unterstützt werden. Meist kommen die Kandidaten ins Parlament, die den stärksten Parteien angehören. Die Abgeordneten einer Partei gründen im Sejm und Senat jeweils eine Fraktion. Dort entstehen häufig Entwürfe für Gesetze und Gesetzesänderungen, da nur Parteien mit Fraktionsstatus neue Gesetze vorschlagen können, die dem Sejm zur Beratung vorgelegt werden.

Die Abgeordneten nehmen an den Sitzungen des Sejm teil und haben das Recht, den Mitgliedern des Ministerrats im Plenum Fragen zu stellen bzw. parlamentarische Anfragen einzubringen. Die Parlamentarier tagen in zahlreichen ständigen sowie Sonderausschüssen, die sich mit Fragen der Staatsverwaltung und des öffentlichen Lebens befassen. Im Sejm tagen Sejmausschüsse, im Senat Senatsausschüsse.

Ständige Ausschüsse im Sejm

  • Ausschuss für Verwaltung und Inneres (ASW)
  • Ausschuss für Staatliche Kontrolle (KOP)
  • Ausschuss für Angelegenheiten der Spezialdienste (KSS)
  • Ausschuss für Ausbildung, Wissenschaft und Jugend (ENM)
  • Ausschuss für die Ethik der Abgeordneten (EPS)
  • Europäischer Ausschuss (EUR)
  • Ausschuss für öffentliche Finanzen (FPB)
  • Wirtschaftsausschuss (GOS)
  • Infrastrukturausschuss (INF)
  • Ausschuss für Körperkultur und Sport (KFS)
  • Ausschuss für Kultur und Massenmedien (KSP)
  • Ausschuss für Verbindungen mit Auslandspolen (LPG)
  • Ausschuss für nationale und ethnische Minderheiten (MNE)
  • Nationaler Verteidigungsausschuss (OBN)
  • Ausschuss für Umweltschutz, Natur und Waldwirtschaft (OSZ)
  • Ausschuss für Verfassungsfragen (ODK)
  • Ausschuss für Sozialpolitik und Familie (PSR)
  • Satzungsausschuss, befasst sich auch mit Abgeordnetenthemen (RSP)
  • Ausschuss für Landwirtschaft und Dorfentwicklung (RRW)
  • Ausschuss für kommunale Selbstverwaltung und Regionalpolitik (STR)
  • Finanzausschuss (SUP)
  • Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten (SZA)
  • Gesetzgebender Ausschuss (UST)
  • Gesundheitsausschuss (ZDR)

In den Ausschüssen wird auch über Gesetzesentwürfe debattiert und abgestimmt, was eine notwendige Etappe im Gesetzgebungsverfahren ist.

Das Gesetzgebungsverfahren beginnt mit der Einreichung eines Gesetzentwurfs im Büro des Sejmmarschalls. Das Recht dazu haben die Regierung, der Präsident, Gruppen von mindestens 15 Abgeordneten, und Bürgerinitiativen mit mindestens 100 Personen. Nach der ersten Lesung wird der Gesetzentwurf abgelehnt oder zum zuständigen Ausschuss bzw. zu den zuständigen Ausschüssen weitergeleitet. Wenn deren Änderungen eingearbeitet sind, findet die zweite Lesung im Sejm statt. Sobald die Debatte beendet ist und weitere Änderungen vorgenommen wurden, stimmen die Abgeordneten nach der dritten Lesung über den Gesetzentwurf ab. Ist das Ergebnis der Abstimmung positiv, wird der Gesetzentwurf an den Senat weitergereicht, der ihn beurteilt und ggf. Änderungen einbringt.

Danach gelangt der Entwurf zurück in den Sejm, der die vorgeschlagenen Änderungen vom Senat annehmen oder ablehnen kann. Nach der Entscheidung des Sejm wird der Gesetzentwurf dem Präsidenten vorgelegt, der ihn unterschreiben, das Verfassungsgericht anrufen oder sein Veto einlegen kann. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts ist verbindlich. Das Veto des Präsidenten kann mit einer Mehrheit von 3/5 der Stimmen abgelehnt werden, wenn mindestens die Hälfte der Abgeordneten anwesend ist. In solch einem Fall muss der Präsident das Gesetz unterschreiben. Das Gesetz tritt mit Bekanntgabe im Gesetzblatt in Kraft. Es sei denn, die Abgeordneten verhängten ein vacatio legis, in dem sie eine Frist für die Änderung der bestehenden Rechtsordnung vorsahen.

In Sejm und Senat, die für 2023-2027 gewählt wurden,
gibt es folgende parlamentarische Fraktionen:

  • Fraktion „Bürgerkoalition“ (KO, Regierung)
  • Fraktion „Dritter Weg“ (TD, Regierung)
  • Fraktion Neue Linke (L, Regierung)
  • Fraktion „Vereinigte Rechte“ (ZP)
  • Fraktion „Konföderation“ (KON)

Das polnische Parlament übt vor allem die Rolle des Gesetzgebers aus, indem es Gesetze verabschiedet, die für alle Polen Gültigkeit haben. Der Sejm legt Rechtsnormen fest, indem er Gesetze bzw. Rechtsverordnungen erlässt, die vom Stellenwert her nur unwesentlich unter der Verfassung stehen. In Gesetzen kann der Sejm den Ministerpräsidenten ermächtigen, detaillierte Verordnungen zu erlassen, in denen das öffentliche Leben detailliert geregelt ist. In der Praxis wird die gesetzgeberische Macht des Parlaments nur durch Verfassungsvorschriften beschränkt. Aber selbst diese können durch das Parlament geändert werden.

Die Abgeordneten und Senatoren genießen Immunität, d. h. während ihrer Amtszeit dürfen sie ohne Einwilligung des Sejm (bzw. im Falle der Senatoren: des Senats) nicht verhaftet, vor Gericht gestellt oder verurteilt werden.

Die Abgeordneten haben direkten Einfluss auf die Exekutive. Ohne die Unterstützung einer Mehrheit im Sejm kann sich keine Regierung konstituieren, und eine Regierung, die die Unterstützung der Mehrheit verloren hat, kann sich sehr bald als handlungsunfähig erweisen.

Eine der wichtigsten Rechte des Sejm ist die Verabschiedung des Haushalts. Der Sejm entscheidet über Einnahmen und Ausgaben des Staates und hat somit nicht nur Einfluss auf die polnische Wirtschaft bzw. die Sicherheit des Staates sondern auch auf das Alltagsleben vieler Polen.

Wichtig ist auch die Kontrollfunktion des Parlaments, die sich z. B. in dem Recht äußert, ein Misstrauensvotum einzureichen. Außerdem hat es Einfluss auf die Zusammensetzung des Ministerrats bzw. die Einberufung von Untersuchungsausschüssen, die für die Öffentlichkeit wichtige Angelegenheiten prüfen.

Das Parlament ist auch für Personalien verantwortlich: es hat das Recht, die höchsten Staatsbeamten zu ernennen – wie z. B. den Ombudsmann (Bürgerrechtsbeauftragten), den Vorstand der Obersten Kontrollkammer (der wichtigsten Kontrollinstitution), den Vorstand der Polnischen Nationalbank, der über die polnische Finanzpolitik wacht, sowie die Mitglieder des Rundfunkrates. Letzterer kontrolliert den Markt für elektronische Massenmedien. Das Parlament kann auch die Vertrauensfrage für Mitglieder des Ministerrats stellen, den der Präsident einberuft.

Die Arbeiten des Parlaments werden durch seine gesetzlichen Organe koordiniert.
Dazu gehören:

  • die Marschalls von Sejm und Senat
  • das Präsidium des Sejm und des Senats (bestehend aus dem jeweiligen Marschall und seinem Stellvertreter)
  • der Ältestenrat (die beiden Marschalls, ihre Stellvertreter sowie die Vorsitzenden der Parlamentsfraktionen)
  • Sejm- und Senatsausschüsse